Veröffentlicht am: 6. April 2023

Die kunterbunte Borkumer Vogelwelt

„Das ornithologische Publikum wird mit Verwunderung fragen, warum beschreibt der Verfasser die Vogelwelt einer kleinen Insel, deren Dasein man in entfernteren Gauen Deutschlands kaum dem Namen nach kennt. In der Tat, auch nach meiner Anschauung ist es höchst gleichgültig, ob ein Vogel hier vorkommt oder nicht. Und dennoch erhält die Ornis dieser Insel ein hohes Interesse, weil sie uns das Vogelgetreibe der deutschen Nordseeküste auf kleinem Raum in großer Vollkommenheit bietet. Hier können wir mit leichter Mühe studieren, wie die Millionen Wandervögel sich am Meeresgestade benehmen und welche Arten sich in der Nachbarschaft der Salzflut häuslich niederlassen.

Die kunterbunte Borkumer Vogelwelt

Kein Wad und kein ausgedehntes Feld ziehen die Binnenlandsvögel an. Verkümmerte Baumkrüppel und niederes Dorngestrüpp, feuchte Wiesen und tiefliegende Ackerstücke behagen nur wenigen unserer Singvögel und manche, die hier Wohnung und Nahrung finden könnten, scheinen sich vor der Nähe des Meeres zu fürchten. Dagegen begegnen wir Sumpf- und Schwimmvögeln, welche die See lieben, in großer Menge, teilweise brütend, und die anderen zu Tausenden auf dem Zuge. In unendlichen Scharen kommen sie aus dem Norden herab und veranstalten ein so lebhaftes Getreibe, wie man es im Innern Deutschlands nicht ahnt. Selbst an der Küste ist es weniger bunt als auf den Inseln, weil es sich nicht auf einen so kleinen Raum drängt. Zudem gibt ihr Leben dort kein so getreues Bild von ihrem Benehmen am Gestade selbst, da der dichtere Holzwuchs und die weiten Felder zu sehr dem Innern des Festlandes gleichsehen. Auf den Inseln aber ist beides bis auf ein Minimum beschränkt, und Watt und Außenweide, Strand und Düne sind nur der Grenze zwischen Meer und Land eigentümlich. Nirgendwo kann man so gut und sicher die Zugverhältnisse beobachten, weil eine nur geringe Zahl Vögel hier brütet, die meisten aber als ausschließliche Wandergäste dieselben berühren. Auch wird dort das Beobachten nicht durch weite Entfernung erschwert.

Unter den deutschen Inseln eignet sich aber Borkum mehr als die anderen zur Beobachtung. Denn ziemlich auf der Mitte der Nordseeküste und vor der schlammigen Dollartbucht liegt es tiefer in der See als die Nachbarinseln und ist mit eigenen nahrungsreichen Watten umgeben. Dass Borkum zugleich ein sehr besuchtes Seebad ist, stört das Vogelleben durchaus nicht, weil die Vogelmassen nur auf dem Zuge erscheinen und ihren Aufenthalt auf jenen entfernten Watten nehmen, welche den meisten Badegästen unbekannt sind. Wir dagegen wurden durch manchen Badegast in der Kenntnis des Vorkommens verschiedener Vögel bereichert.

Diese Gesichtspunkte veranlassten, dass ich mich auf Borkum beschränkte. Jedoch habe ich stets die benachbarten Inseln und Küsten berücksichtigt, was umso leichter ist, da das Vogelleben an den verschiedenen Orten nicht voneinander abweicht. Kennt man die Neigung der Vögel Borkums, so weiß man zugleich, wie sie sich auf Norderney, Juist und auf den niederländischen und oldenburgischen Küsten und Inseln benehmen. Nur ist das Getreibe an einem Ort lebhafter als an einem anderen…“

Tüürr, tüürr, whuhuhu, kiewitt, kiewitt, grütta, grütta, crex, crex, tüht, tüht, gnak, gnak...

Schon der bekannte Schriftsteller und Ornithologe Ferdinand Freiherr von Droste zu Hülshoff – der zwischen 1863 und 1868 mehrmals zur Erholung auf Borkum verweilte – muss so begeistert vom faszinierenden Gezwitscherkonzert und der vielfältigen Vogelwelt gewesen sein, dass er sich dazu entschloss, diese zu analysieren und das Standardwerk „Die Vogelwelt der Nordseeinsel Borkum“ zu schaffen. Bereits damals zeigte er sich stark beeindruckt vom breitgefächerten Artenreichtum, der sich auch in den kommenden Jahrzehnten noch erweitern sollte.

Denn wie beispielsweise die Abhandlung aus dem Landesmuseum für Naturkunde zu Münster in Westfalen mit dem Titel „Die Brutvogelfauna der Nordseeinsel Borkum – Ihre Entwicklung in den letzten 100 Jahren“ aus dem Jahre 1961 beschreibt, ist die hiesige Vogelwelt trotz Zunahme des Tourismus (kamen in der Zeit von Droste zu Hülshoff durchschnittlich maximal 1.000 Gäste jährlich nach Borkum, waren es 1960 bereits knapp 72.000) zunächst noch bunter geworden: „Die Entwicklung der Inseln zu Badeorten ließ zwar den Grundcharakter der Inselgesellschaft bestehen, brachte aber Veränderungen, die auf die Zusammensetzung der Vogelfauna einen großen Einfluss gewannen. Die Dünen wurden durch Helmanpflanzung festgelegt, sie begrünten sich. Strandmauern wurden gebaut, Deiche gezogen, die Inseln vergrößerten sich, vor allem Wiesenflächen, an Stelle der Fischerhäuser entstanden hohe Hotels und Pensionen. In ihrem Schutz wurden Bäume angepflanzt. Schließlich entstanden auf den früher kahlen Inseln mehr oder weniger große Gehölzanpflanzungen. Die Folge dieser Umwandlungen war eine stete Zunahme der Brutvogelarten – und zwar wanderten immer mehr Festlandarten ein.“

Kunterbunte Vogelpopulation

Und tatsächlich findet sich auf dem schönsten Sandhaufen der Welt heute eine kunterbunte Vogelpopulation, die ihresgleichen sucht. Ob im Watt, am Strand, über den Dünen oder in den Salzwiesen – ganzjährig oder über das Jahr verteilt tummeln sich hier Silber-, Lach-, Herings- und Zwergmöwen, Fasane, Austernfischer, Seeschwalben, Brand- und Ringelgänse, Enten, Löffler, Kiebitze, Kormorane, Große Brachvögel, Sumpfohreulen, und noch viele, viele Vögel mehr, die allesamt für ein sehr quirliges Leben auf der Insel sorgen.

Im Wattenmeer und in den angrenzenden Salzwiesen finden Vögel ausreichend Proviant, um sich zu stärken.

Neben den sogenannten Standvögeln, die durchgehend auf Borkum leben, sind es vor allem die Zugvögel, die für einen besonderen Abwechslungsreichtum und quasi ständigen „Bettenwechsel“ verantwortlich sind. So kommen über das Jahr verteilt Millionen verschiedener Zugvögel ins gesamte Wattenmeer, um hier zu rasten, sich für den Weiterflug zu stärken, den Nachwuchs auszubrüten oder ihr Winterquartier zu beziehen. Jährlich ziehen allein bis zu 12 Millionen Vögel auf der Reise von ihren Brutgebieten in Skandinavien, Kanada, Sibirien oder Grönland nach Europa und Afrika über das Wattenmeer, das ihnen reichlich Nahrung und die willkommene Möglichkeit bietet, lebenswichtige Reserven anzulegen. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Watvogel Knutt, der mehr als 4.000 Kilometer am Stück zurücklegen muss, bevor er das nächste größere Wattgebiet an der Küste Mauretaniens in Afrika erreicht. Um diesen Langstreckenflug meistern zu können, frisst er sich vor unserer Haustür richtig satt und sorgt so dafür, dass sich sein Körpergewicht in wenigen Wochen nahezu verdoppelt.

Natürlich machen viele unserer gefiederten Freunde dabei besonders gern rund um die Nordseeinsel Borkum halt – was auch nicht verwundert, denn Hand aufs Herz – würden wir als Vogel nicht auch am liebsten auf dem schönsten Sandhaufen der Welt bzw. der Insel unserer Träume verweilen?

Und so ist auch besonders in diesen Tagen wieder eine Menge los in der Borkumer Vogelwelt. Denn seit Anfang März sind traditionell zahlreiche Zugvögel unterwegs, sodass derzeit beispielsweise Wiesenpieper, Alpenstrandläufer, Rotschenkel, Kiebitzregenpfeifer, Knutts, Seeschwalben oder die stark vom Aussterben bedrohten Uferschnepfen beobachtet werden können. Ab Anfang April beginnt zudem die Brutzeit vieler Vögel. Laut der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer brüten auf Borkum mehr als hundert Vogelarten, die u.a. in der Greunen Stee, auf Salzwiesen, an der Ronden Plate, auf der Seehundsbank, am Strand, in den geschützten Dünen des Ostlandes oder sogar in Kaninchenhöhlen (Hohltauben) nisten.

Borkum


verfügt über ein ausgereiftes Netz an Wegen und Schutzzonen, die Tourismus und Natur besser in Einklang bringen.

Schutz und Rücksichtnahme

Gerade in dieser Zeit gilt es, verstärkt Rücksicht zu nehmen, damit die Vögel nicht gestört oder aufgescheucht werden. So werden zum einen Hundebesitzer dazu angehalten, ihre Lieblinge in der Zeit zwischen dem 1. April und 15. Juli möglichst nicht freilaufen zu lassen – zum anderen wird natürlich nicht zuletzt auch an Gäste und Insulaner appelliert, entsprechende Schutzzonen zu beachten und nicht einfach blindlings durch die Natur zu marschieren. Aber keine Bange!
Das bedeutet nicht, dass man nun gänzlich auf Ausflüge ins Grüne verzichten muss. Vielmehr ist es den Verantwortlichen der Insel in den vergangenen Jahrzehnten gelungen, ein ausgereiftes Netz an Wegen und Schutzzonen zu schaffen, das Tourismus und Natur besser in Einklang bringt – und es ermöglicht, die Borkumer Flora und Fauna zu erkunden, ohne diese zu beeinträchtigen. Neben den rund 130 Kilometer umfassenden Rad- und Wanderwegen ist dabei beispielsweise der 2021 eröffnete Loopdeelenweg an der Ronden Plate zu nennen, der es als Lückenschluss erlaubt, die Insel einmal vollständig zu umrunden und dabei einzigartige Ausblicke in die verschiedenen Lebensräume des hiesigen Flora-Fauna-Habitat- und Vogelschutzgebietes zu genießen. Und das, ohne Gefahr zu laufen, aus Versehen auf ein Nest zu treten oder einen brütenden Vogel zu stören.

Vogeleier zum Kuchenbacken?

Jedoch wurden die Vögel und ihr Nachwuchs hier nicht schon immer ausreichend geschützt, wie auch schon Droste-Hülshoff zu berichten wusste. „Auf Ostland horstet alljährlich eine kleine Kolonie von etwa 25 (Silbermöwen-)Paaren – doch weiß ich bestimmt, dass in den Jahren meines Dortseins nicht ein einziges Ei ausgebrütet wurde, weil die Borkumer Jugend sie alle raubte“, schrieb er seinerzeit. Verschiedenen Erzählungen zur Folge wurden die Eier beispielsweise zum Kuchenbacken oder zur Zubereitung anderer Delikatessen verwendet. Auch auf anderen Inseln – wie z.B. auf der Vogelinsel Memmert – plünderten Eiersammler die Nester von z.B. Möwen, Austernfischern und Seeschwalben und machten sogar Jagd auf die Vögel.

Erst in den 1920ern begann ein langsames Umdenken. Man schuf die ersten Schutzgebiete, in denen der massenhafte Abschuss und die massive Plünderung der Nester verhindert werden sollten und arbeitete seitdem stetig daran, den Schutz für die Vögel und ihren Nachwuchs zu verbessern. Nicht zuletzt dank und seit der Schaffung des Nationalparks „Niedersächsisches Wattenmeer“ im Jahre 1986 konnten sich die hiesigen Bestände an Brut- und Gastvögeln mit der Zeit merklich erholen.

Schutz von Wiesenvögeln

Doch selbstverständlich ruht sich niemand auf diesen Lorbeeren aus, sodass regelmäßig weitere Maßnahmen ergriffen werden, um das Leben der Vögel auf Borkum zu verbessern. So wurden zum Beispiel im Rahmen des 2020 abgeschlossenen und von der Europäischen Union geförderten LIFE-Projektes „Wiesenvogelschutz in Niedersachsen“ in zahlreichen Gräben rund um den Tüskendörsee flexible Einstauvorrichtungen gebaut, die kontrollierbare Wasserstände ermöglichen. Wie der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) mitteilte, wurde dadurch der Lebensraum der hier brütenden Wiesenvögel auf einer Fläche von ca. 2,5 km2 optimiert. Da Uferschnepfen und andere Wiesenvögel (wie z.B. Kiebitze) feuchtes, extensiv genutztes Grünland für die Nestanlage, Nahrungssuche und Jungenaufzucht benötigen, zielt die Maßnahme auf Borkum darauf ab, die im Spätwinter und Frühjahr fallenden Niederschläge oberflächlich in flachen Senken und Gräben zurückzuhalten. Auf diese Weise können die Wasserstände im Laufe der Brutzeit abgesenkt werden, um die Bewirtschaftung der angrenzenden Flächen zu gewährleisten.

Vögel beobachten

Apropos Tüskendörsee! Wenn auch Sie fasziniert von der Borkumer Vogelwelt sind, dann sollten Sie unbedingt mal an einer geführten Vogelbeobachtung am Tüskendörsee teilnehmen. Auf den regelmäßig angebotenen Touren erklärt Ihnen ein Nationalpark-Mitarbeiter Wissenswertes über die hier zahlreich vertretenen verschiedenen Vogelgattungen und deren Lebensweise im Wattenmeer rund um Borkum.

Selbstverständlich muss man aber nicht extra an einer Führung teilnehmen, um die facettenreiche Vogelpopulation auf dem schönsten Sandhaufen kennenzulernen. Denn dies lässt sich auch ganz einfach auf eigene Faust bewerkstelligen. Ganz gleich, ob während eines Strandspaziergangs, einer Wanderung durch die Dünen, eines Aufenthaltes im Ostland oder ganz gemütlich mit einem Fernglas vom Liegestuhl aus – auf Borkum präsentiert sich die Vogelwelt überall von ihrer besten Seite. Bitte beachten Sie dabei jedoch immer den Vogelschutz – schließlich möchten wir doch alle, dass auch kommende Generationen noch vom vielfältigen Konzert unserer gefiederten Mitbewohner und Gäste verzaubert werden!

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